Familienrecht Urteile 2014 |
23.10.2014
In seiner jüngsten Entscheidung zum Betreuungsrecht (Beschluss vom 17. September 2014, Az.: XII ZB 202/13) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, unter welchen Voraussetzungen lebenserhaltenden Maßnahmen bei betreuten Patienten eingestellt werden können.
Die 1963 geborene Betroffene erlitt im Jahr 2009 eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms im Sinne eines Wachkomas. Sie wird über eine Magensonde ernährt; eine Kontaktaufnahme mit ihr ist nicht möglich. Der Ehemann und die Tochter der Betroffenen, die zu ihren Betreuern bestellt sind, haben beim Betreuungsgericht beantragt, den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu genehmigen.
Hilfsweise haben sie die Feststellung beantragt, dass die Einstellung der künstlichen Ernährung nicht genehmigungsbedürftig sei. Sie stützen ihren Antrag darauf, dass sich die Betroffene vor ihrer Erkrankung gegenüber Familienangehörigen und Freunden gegen eine Inanspruchnahme von lebenserhaltenden Maßnahmen für den Fall einer schweren Krankheit ausgesprochen habe. Das Betreuungsgericht hat Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen untersagt.
Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene auf Grund des Unterbleibens bzw. des Abbruchs der lebenserhaltenden Maßnahme stirbt. Eine solche betreuungsgerichtliche Genehmigung ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.
Liegt dagegen keine wirksame Patientenverfügung vor, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen. Die hierauf beruhende Entscheidung des Betreuers bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn zwischen ihm und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem festgestellten Willen des Betroffenen entspricht.
In den verbleibenden Fällen, in denen eine betreuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist, ist diese vom Betreuungsgericht zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betroffenen entspricht. Das Betreuungsgericht muss bei dieser Prüfung zwischen den Behandlungswünschen einerseits und dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits unterscheiden.
Behandlungswünsche können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den gesetzlichen Anforderungen an eine Patientenverfügung nicht genügen. Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist nur abzustellen, wenn sich ein erklärter Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt.
Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten strenge Beweismaßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter - dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen einerseits und dem Schutz des Lebens andererseits - Rechnung zu tragen haben. Die bei der Ermittlung und der Annahme eines Behandlungswunsches oder des mutmaßlichen Willens zu stellenden strengen Anforderungen gelten unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht.
Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Regelungen hat der BGH die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Das Betreuungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass hier wegen des nicht unmittelbar bevorstehenden Todes der Betroffenen noch strengere Beweisanforderungen für die Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens gelten, als in anderen Fällen.
(Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 17.09.2014)